Stefans Geschichten vom Meer: die dunkle Seite von Cornwall

Die Welt schaut auf Cornwall an diesem Wochenende, wenn sich die mächtigsten Wirtschaftsnationen des Westens in einem Dorf am Meer treffen. Schöne Bilder sehen wir in den Nachrichten. Die Washington Post schreibt, dass die „Strände den Politikern die Show gestohlen“ haben. Doch hinter der Kulisse von Rosamunde Pilcher, da sieht es ganz anders aus…

Seit das Freiluft-Experiment Hamburg so gründlich schief ging, suchen sich die Organisatoren des G7-Gipfels lieber abgelegene Orte aus. An diesem Wochenende treffen sich die Regierungschefs der mächtigsten Wirtschaftsnationen der westlichen Welt also in Carbis Bay, einem Dorf am Meer in Cornwall.

Schöne Bilder werden wir in den Nachrichten-Sendungen sehen. Von weiten Stränden, vom Leuchtturm am Rande der Bucht (der Virginia Woolf zu ihrer berühmten Novelle inspirierte), von mächtigen Klippen im Süden Englands. Politik-Hooligans werden keine Chance haben, auch nur in die Nähe von Joe Biden, Angela Merkel und Emmanuel Macron zu gelangen.

Cornwall ist eine arme Region

Mehrere tausend Polizisten und Soldaten sind im Einsatz, dazu Agenten des Secret Service, Scharfschützen, von einer der größte Sicherheitsoperationen in der Geschichte Großbritanniens ist die Rede. Sogar der neue britische Flugzeugträger ankert vor der Bucht. So ein Miteinander ist ja auch immer eine schöne Gelegenheit, zu zeigen, was man hat, da unterscheidet G7 nichts von einem Treffen der Manta-Fahrer Barmbek.

 

Dass man Cornwall auswählte, begründete der britische Premierminister Boris Johnson mit der Historie. Vor zweihundert Jahren seien die Zinn- und Kupferminen ein Herzstück der industriellen Revolution gewesen. Heute werde Cornwall, so Johnson, die „Keimzelle großen globalen Wandels und Fortschritts.“

Reiche Städter kaufen die Häuser auf

Wenn der Zirkus nächste Woche weitergezogen ist, wären die Einwohner Cornwalls vermutlich schon mit kleinem lokalem Wandel und der Aussicht auf ein bisschen Fortschritt zufrieden. Denn in Cornwall, bekannt als Kulisse für Rosamunde-Pilcher-Schmalz und Fototapete auf Instagram, zeigen sich die Probleme vieler Küstenregionen besonders deutlich. Cornwall ist statistisch die zweitärmste Gegend in der Europäischen Union.

Nirgendwo außerhalb Londons sind soziale Ungleichheiten in Großbritannien so gravierend. Während reiche Großstädter für Millionen Pfund Ferienhäuser mit Blick aufs Meer kaufen, wissen viele Einheimische nicht, wie sie im Alltag klarkommen sollen. Die Region lebt vom Tourismus, doch vom Geld, das erwirtschaftet wird, kommt bei den Leuten, die dafür hart arbeiten, kaum etwas an. Und die Fischer kämpfen mit den Folgen des Brexits.

Ein Urlaub im Dauerstau

Vor einigen Jahren waren wir in Cornwall im Urlaub. Ich erinnere einen Pub auf der Pier von Porthleven, den mächtigen St. Michaels Mount und die Burg von Tintagel. Ich erinnere aber auch, dass wir viele, lange Stunden im Stau standen. Auf den engen Straßen ging häufig nichts voran.

Landschaftlich war das alles sicherlich schöner, doch es fühlte sich an wie Ferien im Feierabendverkehr vor dem Elbtunnel.

 

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien das „Kleine Buch vom Meer: Helden„.

 

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