Stefans Geschichten vom Meer: ein Loblied auf die Lotsen

Die Losten sind die unbesungenen Helden der norddeutschen Küsten. Sie haben Ahnung wie ein Kapitän und Fähigkeiten wie ein Stuntman. Wenn sie einen Fehler machen, landen sie im Meer oder der Elbe. Oder im schlimmsten Fall direkt in der „Tagesschau“.

Auf dem Deck der Fähre 62, die von den St. Pauli Landungsbrücken nach Finkenwerder pendelt, war kaum ein Stehplatz frei. Hamburg ist im Sommer so beliebt wie nie, und viele Touristen nutzen die HADAG-Fähren als preiswerte Alternative zur Hafenrundfahrt. Das ist ziemlich nervig für alle, die mit den „Bügeleisen“ in die Stadt müssen (und eigentlich auch keine Alternative zu einer guten Hafentour mit Hamburger Schnauze), aber das ist ein anderes Thema.

Lotsen müssen Nerven aus Stahl haben

Die Fähre passierte einen Großcontainerfrachter, die 364 Meter lange Nyk Eagle,als an der Bordwand eine gelbe Weste auftauchte. Ein Lotsenboot fuhr heran, und dann begann ein Mann, die Strickleiter hinunterzuklettern, etwa zehn Meter oberhalb der Wasserlinie. Dann stieg er über an Bord des kleinen Bootes, bei laufender Fahrt die Elbe hinunter.

Für den Lotsen wird das garantiert Routine gewesen sein. Ich habe das mehrfach gesehen, einmal bei bewegter See und Beaufort Sieben im Firth of Forth vor Edinburgh, doch es beeindruckt mich immer wieder. Und dieser Kletterei passierte an einem Sommerabend, nicht bei Herbstregen oder Eisgang auf dem Fluss. Dieser Job erfordert Nerven und Mut – und welche Verantwortung tragen die Lotsen! Ein grober Fehler bedeutet, dass sie beim Umstieg in der Elbe landen. Oder direkt in der „Tagesschau“: Mit vierhundert Meter langen Riesen fährt man besser nirgendwo gegen.

280 Lotsen auf der Elbe

280 Lotsen sind in der Lotsenbrüderschaft Elbe organisiert, eine der traditionsreichsten und die größte Lotsenvereinigungen der Welt. 24 Stunden täglich stehen sie bereit für eines der anspruchsvollsten Reviere Europas. Elbaufwärts lotsen sie die Schiffe ab Tonne E3 bis auf die Höhe ihrer Station bei Teufelsbrück, wo dann die Hafenlotsen übernehmen. Auslaufende Schiffe begleiten sie je nach Zielhafen in die Deutsche Bucht oder zum Nordostseekanal. Bei „norddeutschem Wetter“, wenn der Wellengang zu stark ist, werden sie mit dem Helikopter von Deck geholt. Sie sind Nautiker, oftmals ehemalige Kapitäne, und nebenher müssen sie Eigenschaften wie ein Stuntman mitbringen.

Es sind Männer wie die Lotsen, die den großen Organismus Hafen, der immerzu in Bewegung ist, am Laufen halten. Man sollte mit dem Begriff des „Helden“, der inflationär vom Pizzaboten zum HSV-Lasogga benutzt wird, vorsichtig sein. Aber die Lotsen sind so etwas wie die unbesungenen Helden des Hafens und der Küste.

Probleme für deutsche Seeleute

Doch sie haben ein Problem: die jungen Leute fehlen. Auf den Schiffen der meisten Reedereien fahren keine deutschen Seeleute, weil sie zu „teuer“ sind. Die Jobaussichten sind schlecht, und überdies gilt der Beruf des Seemanns als unattraktiv, weil kaum noch jemand Lust hat, monatelang auf See und nicht Zuhause zu sein. Wer Lotse werden will, muss ein Nautikstudium absolviert haben und auf einem Handelsschiff als Offizier gefahren sein. Keine deutschen Seeleute, keine Lotsen. Wat nu?

Bis zum Jahr 2030 wird die Hälfte der Elblotsen in Rente gehen.

 

 

 Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland.  

 

 

 

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