Stefans Geschichten vom Meer: Gefangene im Sturm

Gefangene im Sturm. In Stefans neuer Geschichte vom Meer geht es um eine Reise über den Nordatlantik – und dieses Gefühl, in der Corona-Zeit einer endlosen Schleife zu hängen… 

Ich schreibe diese Geschichte des Meeres in einer Sturmnacht an Bord. Ein Orkan zieht über den Nordatlantik. Regen fliegt waagerecht an meinem Fenster auf Deck 5 vorbei, die Laternen auf dem kleinen Containerterminal von Torshavn biegen sich im Wind. Unser Kapitän hat entschieden, den Sturm im Hafen der Färöer abzuwarten und erst in den Morgenstunden die Leinen loszuwerfen.

Orkan über Island

Seit sechs Tagen sind wir nun auf See mit unserer „Skua-Tour“, die wir nach der großen Raubmöwe des Nordatlantiks benannt haben. Geschichten und Musik an Bord der Islandfähre, unterwegs nach Norden auf diesem wilden, majestätischen Ozean – das ist die Idee dieser Reise. Kein Kreuzfahrt-Schischi, sondern ehrliche Seefahrt. Wer mit will, sollte besser seefest sein (Eindrücke der Reise findet Ihr hier im Foto Logbuch).

 

Noch nie war das Wetter auf der Route so stürmisch wie dieses Mal. Auf der Islandsee erlebten wir bis zu acht Meter hohe Wellen, und einige waren sicherlich größer. Das Schaukeln sorgt dafür, dass man unruhig schläft, aber dennoch war die Stimmung unserer Gäste entspannt. Einer prägte den Begriff „taktisches Duschen“, was meint, immer die Sturmlöcher abzupassen, um beim Rollen der „Norröna“ nicht durchs Bad zu segeln.

Taktisches Duschen

Im Zielhafen Seydisfjördur auf Island durften wir 16 Stunden nicht an Land gehen, weil ein Blizzard mit bis zu 11 Beaufort durch den Fjord peitschte. Die Behörden hatten die Dorfbewohner aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. So blieb das Autodeck geschlossen und die Gangway auch. Ungewöhnlich für Island, das so erprobt ist mit Stürmen.

Auf der Rückreise ging die Orkanfahrt weiter. Wieder bauten sich gewaltige Wellen auf, wieder konnten wir nicht ablegen. Wir waren Gefangene des Sturms – und das passt momentan leider gut zur Corona-Lage.

Alle Mitreisenden an Bord der Islandfähre müssen geimpft sein und wurden mehrfach getestet. Keine Masken, Essen vom Buffet, auf Abstände achtet deshalb kaum jemand. Es beinahe wie ein Raumschiff, weit weg vom Rest der Corona-Welt.

Wie ein Raumschiff

Wenn ich über Bordinternet die Nachrichten aus Deutschland lese, mache ich mir Sorgen. Was kommt da auf uns zu? Und wer gibt momentan eigentlich den Kurs vor, wo doch eigentlich längst bekannt ist, was uns durch die Krise bringt. Mitten im Orkan keine Klarheit auf der Brücke zu haben: Kann das lange gut gehen?

Ich liege in meiner Koje. Draußen heult der Sturm über den Docks von Torshavn. Sobald wir ablegen, erwartet uns eine Achterbahn bis Shetland, das ist klar. Der schwerste Sturm jedoch steht uns allen noch bevor.

Einfach ein paar Stunden im Hafen abzuwettern, wie es der Kapitän der Islandfähre entschied – das wird im Corona-Winter nicht reichen…

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Das neue Buch heißt „Überleben im Sturm“.

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