Stefans Rückblick 2023 (Folge 3/12) – Abenteuer Land of Maybe
Von einem Abenteuer im Land of Maybe handelt der dritte Teil des persönlichen Jahresrückblicks von Ankerherz. Die Reise wird noch wilder als geplant, mit Schnee und Sturm. Und auch sonst ist jede Menge los im Monat März. Viel Spaß beim Lesen!
Selten war die Vorfreude so groß wie vor der Tour ins Land of Maybe. Oft hatten wir die Inseln auf unserer Skua-Tour für kurze Zeit lieben gelernt – nun aber wollen wir sie richtig kennenlernen. Was wir in Schnee und Sturm erleben, gerät extremer als erwartet (lest den Haupttext unten).
Im März ist ohnehin jede Menge los.
Die Fischer an der Nordseeküste demonstrieren gegen neue, strenge EU-Vorschriften und fürchten das Ende für viele Kutter – und damit auch die kleinen Häfen an der Küste. Es gibt Diskussionen um den Leuchtturm Roter Sand, ein Wahrzeichen, das in der Nordsee vor sich hin gammelt. In England schreiben die Fußballer einer armen, vergessenen Hafenstadt ein modernes Märchen.
Wir reisen an die Ostseeküste zu einer großen Lesung in Heiligenhafen und nach Sizilien. Auf der Insel Favignana vor der Westküste besuchen wir alte Fischer. Die warme Sonne des Mittelmeers kurz nach der Reise ins Land of Maybe gefällt uns noch besser als sonst.
Diese Nachrichten im März: Proteste in Frankreich, ein internationaler Haftbefehl gegen Russlands Diktator Putin, der ukrainische Kinder verschleppen ließ. Er kündigt an, taktische Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen. Der Wahnsinn geht weiter…
Im Land of Maybe
Selbst die Alten konnten sich nicht daran erinnern, wann zuletzt so viel Schnee auf den Inseln gefallen war. Sobald der Bus die Berge erreichte, bot sich daher mehr Abenteuer, als uns das lieb war. Bei Schnee und Eis und Matsch auf engen Straßen unterwegs zu sein, die steil in den Nordatlantik abfallen, daran muss man sich erst gewönnen.
Selbst Fahrer Jogvan, der eine stoische, wikingereske Ruhe ausstrahlt und darauf hinwies, dass er in Dänemark ein Bustraining auf Eis absolviert hatte, war eine gewisse Nervosität anzumerken. Vor einer besonders steilen Steigung griff er jedenfalls häufiger also sonst in die Tüte mit Süßigkeiten auf dem Armaturenbrett.
So ist das, wenn man im Land des Vielleicht unterwegs ist. „Land of Maybe“, so nannte ein britischer Soldat, der im Zeiten Weltkrieg hier stationiert war, die Färöer. Denn „Kanska“ – übersetzt: vielleicht – ist das vermutlich meistgesprochene Wort auf den 18 Inseln der Schafe. Auf dem 62. Breitengrad fällt fünf Mal so viel Regen wie auf den regenreichen Britischen Inseln, hier gibt es fünfhundert Mal so viel Wind.
Mancher Ort, den wir unbedingt anschauen wollten, wie die Insel Kalsoy, auf der James Bond im letzten Film beerdigt wird, blieb im Schneesturm unerreichbar. Andere Plätze, etwa das Fischerdorf Bøur oder die Kirchensiedlung Kirkjubøur, entwickelten im Treiben von Flocken und Wind eine Magie, die unvergesslich bleiben wird.
Das vielleicht Schönste war, dass diese ganzen „vielleicht“ niemanden zu stören schienen. Keinen aus unserer Reisegruppe, schon gar keinen Insulaner. Wir bekamen einen Eindruck von Gemeinschaft und Freundlichkeit und Zusammenhalt einer Inselkultur, die seit Jahrhunderten so funktionieren muss. Weil sie nur so, weit draußen in einem wilden Ozean, überleben kann.
Für mich war es neben der Schönheit der Natur die Erkenntnis der Reise. Dinge nehmen, wie sie eben sind. Das passt auch so gut in eine Zeit, in der es nach Pandemie und durch einen Angriffskrieg in Europa längst keine Gewissheiten mehr gibt.
An einem Abend erhielt ich eine Nachricht über Facebook. Mike Maple schickte mir eine Nachricht, ein ehemaliger Kriegsfotograf aus Memphis, mit dem ich zuletzt vor 20 Jahren gearbeitet hatte. „Zur Hölle, du bist in Torshavn?“, schrieb er, „ich auch!“ Und so kam es zum unwahrscheinlichsten aller Wiedersehen.
Als ich spät in der Nacht ins Hotel zurück spazierte, hatte es aufgehört zu schneien. Der Himmel über den Inseln war klar. Ich stapfte durch tiefen Schnee und durch stille Straßen. Über mir leuchtete ein Polarlicht.
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