Wangerooge: Als die Neujahrsflut die Insel zerriss

Wangerooge, kurz nach Jahresbeginn 1855. In dieser Nacht tobt die Nordsee so furchtbar wie selten zuvor. Die „Neujahrsflut“ soll das Gesicht der Insel für immer verändern.

Wie verheerend die Neujahrsflut über der Insel wütete, das wissen wir aus einer alten Kirchenchronik. Inselpfarrer Theodor Schmedes beschrieb es im Jahreskalender 1855: „Von 70 Wohnungen wurden 20 zerstört; viele andere, vom Wasser unterwühlt, stürzten ein. Auf dem Kirchhofe wurden die Särge herausgespült und die Leichen von den brausenden Wogen in die Tiefen des Meeres hinabgerissen.“

Wangerooge in drei Teile zerrissen

Auch auf der Insel Norderney gab es Verwüstungen. Große Teile der Dünenzone im Westen und Nordwesten, die die Insel bislang vor den Fluten geschützt hatten, gingen verloren. Selbst das ferne Hamburg wurde hart getroffen, doch nirgendwo waren die Schäden der Neujahrsflut 1855 so groß wie auf Wangerooge. Dass es nicht viele Opfer gab, war anscheinend nur dem Einsetzen der Ebbe zu verdanken. „Hätte die Fluth noch eine Stunde länger gedauert, (…) die meisten Menschen würden wohl ihr schauerliches Grab in den Wogen gefunden haben„, formulierte der Geistliche Schmedes in seiner Kirchenchronik.

 

Tote waren auf auf der Insel also nicht zu beklagen, doch die Sturmflut hatte schlimme Folgen. Sie zerriss die Insel in drei Teile. Die Hauptinsel maß danach nur noch 175 Hektar Fläche (zum Vergleich: heute sind es rund 500 ha). Im alten Inseldorf um den damaligen Westturm blieb kein Haus stehen. Meerwasser verseuchte die Brunnen. Der Badebetrieb, der sich seit 1804 als Einnahmequelle etabliert hatte, stand vor dem Aus. Ein Regierungsbeschluss sah wenig später vor, die Badeanstalt ganz aufzulösen. Man verkaufte einen Teil der Badekarren an die Nachbarinsel Spiekeroog.

Insulaner sollen umsiedeln

Aus Oldenburg reiste eine Regierungskommission an. Die Herren zeigten sich entsetzt über das Ausmaß der Verwüstungen und machten wenig Hoffnung für einen Wiederaufbau. Sie forderten die Insulaner nach Beratungen sogar dazu auf, Wangerooge zu verlassen und aufs Festland umzusiedeln. Wer diesen Schritt ging, bekam sogar finanzielle Unterstützung. 233 der 342 Insulaner folgten dem Anreiz. Ein großer Teil von ihnen ließ sich bei Varel am Jadebusen nieder. Dort entstand die Siedlung Neu-Wangerooge.

 

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Nebenbei bemerkt: Lange blieben die Bewohner übrigens nicht in Neu-Wangerooge, obwohl die Siedlungshäuser sogar den Baustil der Insel kopierten. Viele zogen weiter in die neugegründete Hafenstadt Wilhelmshaven.

Insel verlagert sich immer weiter nach Osten

Wer noch auf Wangerooge durchhielt, siedelte in den Osten der Insel um. Das erste Gebäude, das errichtet wurde, war der neue Leuchtturm, der 1856 zum ersten Mal sein Feuer über die Nordsee warf. Man könnte sagen, dass man das Inseldorf um den Leuchtturm baute. Meist waren es einfache Fischerhäuser, von denen die ersten auf Warften standen. Solchen Eindruck hatte die Sturmflut hinterlassen. Heute liegt das Inseldorf in der Mitte von Wangerooge. Unter Einfluss der Gezeiten verlagert sich die Insel immer weiter nach Osten.

Der Ort des Inseldorfs war gut gewählt: Seit jeder verheerenden Flut gab es auch in starken Sturmfluten keine gravierenden Schäden mehr an Gebäuden.

 

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