Was wir von alten Kapitänen lernen können
Sie müssen ihr Schiff durch jeden Sturm bekommen. Sie tragen Verantwortung für ihre Crew und für Fracht im Wert vieler Millionen Euro. Was zeichnet einen guten Kapitän aus? Und was können wir von alten Kapitänen lernen? Ein Auszug aus unserem neuen Buch KAPITÄNE. Von Stefan Kruecken.
Für den alten Kapitän, den ich in Schleswig traf, muss unser Gespräch eine Qual gewesen sein. Seine Geschichte handelte von einer schweren Explosion im Laderaum seines Frachters, weit draußen auf dem Folg von Mexiko. Ein Feuerball stieg auf in die Nacht. Dem Kapitän blieben nur Augenblicke, um eine Entscheidung zu treffen, die ihm und zwei Dutzend Männern das Leben rettete.
Er setzte ein „Mayday“ ab und gab Befehl, sofort in die Rettungsboote zu steigen. Wenig später sank das Schiff in einem Inferno. Die Crew konnte sich nach einer Irrfahrt auf eine Ölbohrplattform retten.
Dennoch hatte der Kapitän im Interview ein Problem. Er wollte unbedingt einen Eindruck vermeiden: Dass seine Aussagen prahlerisch klangen, auch nur ein bisschen angeberisch, oder dass er sich selbst groß machte. Dieser Gedanke war für ihn unerträglich. Und so saß Kapitän Lunau, ein schrankartig gebauter Seemann mit Glatze und durchdringendem Blick, an diesem Tisch, rührte in seinem Tee und sagte:
„Manchmal ist man als Kapitän so einsam, wie man nur einsam sein kann.“
Ich habe im Laufe der Jahre mehr als einhundert alte Kapitäne interviewt, doch dieser Satz stand immer heraus. Er bringt so viele Dinge auf den Punkt, die sich auf andere Bereich des Lebens übertragen lassen.
Was können wir von alten Kapitänen lernen?
Unsere Bücher mit den Abenteuern alter Kapitäne fanden großes Echo. „Ein frommes Buch“, urteilte der Rezensent der Kirchenzeitung „Der Protestant“, trotz der Rotlichtgeschichten, und auch die Redaktion des SPIEGEL, der ZEIT oder des Fernfahrers lobte die Geschichten. Leser schreiben uns, dass sie sich und Probleme ihres Alltags darin wiederfinden. Sie schreiben auch, dass sie etwas von den alten Kapitänen gelernt haben.
Das Berufsbild des Kapitäns hat sich stark verändert in den vergangenen Jahrzehnten. Durch den Container hat eine enorme Effizienz Einzug gehalten in der Seefahrt, die Schiffe werden von Satelliten überwacht, die Fahrpläne von Computern berechnet, die großen Frachter auf See vom Autopiloten gesteuert. Heute sind Schiffe vierhundert Meter lang, beladen mit 14.000 und mehr Stahlkisten, und dennoch bleiben die Schiffe kaum mehr als einen Tag im Hafen.
Die Seefahrt früherer Tage war anders. Exotische Ziele, fremde Kulturen, die Seeleute waren auch Weltentdecker in einer Zeit, in der Langstreckenflüge reiner Luxus waren. Matrosen bereisten in früheren Zeiten mehr Länder als Manager, und für Kapitän Schwandt, unseren bekanntesten Kapitän, führte es dazu, eine tolerante Sicht auf die Dinge zu entwickeln.
„Auf meinen Reisen habe ich überall gute Menschen und überall Arschgeigen. Das hatte nichts mit Hautfarbe, Religion oder Pass zu tun.“
Der Beruf mag sich verändert haben. Der Ruf, den Kapitäne genießen, ist unverändert. Heute müssen sie nicht mehr auf kleinen Schiffen über den Atlantik im Winter und sich darauf verlassen, dass die Wetterberichte und ihr Bauchgefühl bei der Routenplanung stimmen. Heute haben sie Unterstützung von Beratungsagenturen, die exakte Vorhersagen für jeden Ort der Welt parat haben. Doch sie sind verantwortlich für Schiffe und Ladung, die mehr als eine Milliarde Euro wert sein können. Schwere Fehler, etwa auf der Elbe vor dem Hamburger Hafen, haben katastrophale Folgen.
Die See ist unerbittlich
Und die See bleibt ein unerbittlicher Gegner, wie es schon Joseph Conrad beschrieb. Gleich in der ersten Geschichte des Buches schlägt eine Riesenwelle die Scheibe aus der Brücke eines hochmodernen Trawlers. Sie war im Stahl verschraubt, doch der Gewalt, die diese Welle entwickelte, konnte sie nicht standhalten.
„Die Natur ist immer stärker als wir“, sagt Kapitän von Staa.
Alle Kapitäne, mit denen wir sprachen, empfinden das so. Eine tiefe Demut vor dem Ozean, vor seiner Kraft und Launenhaftigkeit. Wie er sich und das Schiff aus dieser lebensgefährlichen Situation herausbekam, erzählt uns Kapitän von Staa in seiner Geschichte. Darum geht es immer wieder: Ruhe bewahren. Entschlossen handeln, ohne in Panik zu verfallen. Duchhalten! Solange es noch eine Möglichkeit gibt, ist beinahe jede Situation zu bewältigen.
Es gibt Muster, die man bemerkt, wenn man mit alten Kapitänen zu tun hat.
Ihre Verbindlichkeit. Ein Wort ist ein Wort, ein Handschlag ein Handschlag, und sie verlassen sich umgekehrt darauf, das Regeln eingehalten werden. Zu spät zu einem vereinbarten Termin zu kommen, und handelt es sich nur um eine Minute: ein Unding. Die meisten Kapitäne sind deutlich vor der vereinbarten Zeit vor Ort, und sie achten auf Details. Wenn wir einen Seemann mit zu einer Ankerherz-Kreuzfahrt oder unserer Skua-Tour nach Island nahmen, überprüften sie als Erstes die Rettungsmittel an Bord. Sie inspizierten die Fluchtwege, sahen sich die Rettungsboote an, und in einem Fall bekam der diensthabende Wachoffizier einen Anschiss, weil er das Hemd aus der Hose trug. Im Gespräch mit dem Kapitän des Schiffes beim Brückenbesuch erkundigte sich der Seemann dann, ob er seinen Offizier „nicht mal zum Frisör“ schicken wolle?
Die Tugenden alter Kapitäne
Das hat nicht unbedingt mit Spießigkeit zu tun, sondern mit der Erfahrung, dass die meisten großen Unglücke aus einer Verkettung kleiner Verfehlungen und Nachlässigkeiten entstehen. Die Summe minimaler Fehler sorgt am Ende für ein maximales Problem, in einer Umgebung, die lebensfeindlich ist. Einen Ausfall der Maschine im Sturm, ein Feuer an Bord, einen groben Navigationsfehler möchte kein Kapitän erleben. Er setzt daher den Standard in den Details so hoch, dass Fehler schon früh erkannt werden und eine Kettenreaktion gar nicht in erst in Gang kommen kann.
Womit wir beim Thema Menschenführung wären. Das Klischee sieht den brummigen, alten Salzbuckel vor, der Befehle grunzt, Probleme mit sich ausmacht und als einsamer Seewolf übers Meer fährt. Jedes Klischee hat einen wahren Kern. Man merkt diesen Männern an, dass sie nie einen Chef hatten und innerhalb eines vorgegebenen Rahmens selbstbestimmt handeln konnten. Dass dieser Rahmen durch die Digitalisierung der Seefahrt immer enger wurde, sorgt bei alten Kapitänen häufig auch dafür, dass sie bei der Frage, ob sie ihren Beruf heute wieder wählen würden, heftig mit dem Kopf schütteln.
Fairness und gewisse Strenge
Aus den „Mastern next God“ sind in ihren Augen „Transportbegleiter zur See“ geworden. Die Tage, in denen sie das Schiff in eine Bucht legten, um mit der Crew ein paar Stunden am Strand zu entspannen, gehören in die Abteilung „Märchenbuch“. Heute hat jeder Praktikant in der Reederei rund um die Uhr Zugriff auf die Position, die Geschwindigkeit und alle anderen relevanten Daten des Schiffes.
„Fairness und eine gewisse Strenge“, so beschreibt Kapitän Manfred Schleiff das Rezept, eine Crew richtig zu führen. Bei der Disziplin, die wichtig ist, dennoch Freiräume zu lassen. Im richtigen Moment wegzusehen, wenn etwas unverschuldet schief ging. Zu loben und den Leuten das Gefühl zu geben, dass man sich auf sie verlassen kann. So kam Schleiff mit seiner Crew über eine Monsterwelle im Pazifik, deren Höhe er auf mehr als fünfundreißig Meter schätzt. Dem Rudergänger rief er im entscheidenden Moment zu: „Ganz ruhig. Wir schaffen das schon!“
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