Seenotretter erzählen: Die Rettung der Ice Prince
Seenotretter erzählen in unserem Buch „Überleben im Sturm“ von ihren dramatischsten Einsätzen. Ein Buch voller Mut, Mitgefühl und Abenteuer. Einer der Helden der RNLI ist Mark Criddle der Station Torbay in Devon. Er erinnert sich an die Rettung von acht Seeleuten des Frachters „Ice Prince“ in einem furchtbaren Sturm. Lest diesen stark gekürzten Auszug. Das Buch gibt es hier bei uns…
Der Wind heulte, und der Regen prasselte gegen die Station des Seenotkreuzers von Torbay. Ich sah auf meine Uhr.
Fast sieben.
Ich stellte die Teetasse hin und wandte meinen Blick ab vom Fernseher, auf dem gerade ein Darts-Wettbewerb lief, um aus dem Fenster zu schauen. Es war schon den ganzen Tag ziemlich wild da draußen. Sturmböen fegten über die normalerweise geschützte Horseshoe Bay und peitschten die Wellen hoch auf. Die See schäumte weiß. Trotzdem blieb das Funkgerät der Station still. Ich ließ meine Gedanken wandern und landete bei den praktischen Dingen des Familienlebens.
Ob die Wäsche im Trockner schon fertig war?
Seit unsere Kinder da waren, Marsden, vier, und Maitland, sieben, fühlten sich meine Frau und ich immer wieder überwältigt von den Bergen an Wäsche, die zwei kleine Jungs produzieren. In den Wintermonaten blieb mir oft nichts anderes übrig, als die vielen Ladungen tropfnasser Klamotten in den Waschsalon zu schleppen, um sie dort in den Trockner zu stopfen. Der gehörte zum Yachthafen von Brixham und stand zum Glück gleich neben unserer Station.
Seenotretter erzählen: Die Rettung der Ice Prince
Ich steckte meinen Pager ein, zog den Reißverschluss meiner Regenjacke hoch und kämpfte mich durch den Wind zum Waschsalon. Vor zwanzig Minuten hatte dich diese Ladung reingesteckt.
Immer noch feucht.
Ich drückte die Tür des Trockners wieder fest zu und wollte mich gerade auf eine Bank vor der Maschine setzen, als mein Pager piepte. Es war Ken James, der stellvertretende Einsatzleiter unserer Station an der Tor Bay – ein Notruf. Da musste ich als Vormann des Kreuzers sofort los. Ich lief zum Bootshaus, um Ken anzurufen.
„Ist ein Küstenmotorschiff, 34 Meilen südöstlich von Berry Head“, sagte er. „Hat Schlagseite, und der Kapitän hat schon die Küstenwache um Unterstützung gebeten.“
„Wie viele Leute an Bord?“, fragte ich.
„Wir gehen von insgesamt zwanzig aus“, erwiderte er.
Berry Head war nur ein paar Meilen von Brixham entfernt, die Landspitze markierte die südliche Grenze der Tor Bay zur Grafschaft Devon. Die „Ice Prince“, ein mit 6395 Bruttoregistertonnen vermessener Frachter unter griechischer Flagge, hatte in Schweden Holz geladen und war auf dem Weg nach Ägypten. Sturmböen und Brecher hatten sie im Ärmelkanal voll erwischt, und jetzt lag sie mit Schlagseite in der See. Und je stärker sie sich zur Seite neigte, desto weiter verrutschte die Ladung.
So weit, so unkompliziert, dachte ich.
Für den Laien mag es vielleicht dramatisch klingen, aber so etwas kommt vor. Tatsächlich war mit dem Schwesterschiff dieses Kümos vor ein paar Jahren exakt dasselbe passiert. Der damalige Vormann des Kreuzers, David Hurford, und ich hatten den Dampfer sicher in den Hafen von Brixham eskortiert. Ich war also nicht übermäßig besorgt. Bei solchen Wetterbedingungen war ein Einsatz nie ganz ungefährlich, und das Schiff war auch eine Nummer größer als unsere gewöhnliche „Kundschaft“, zu der meist Fischer gehören. Doch letzten Endes war unser Job ja nur, den Havaristen in den nächsten Hafen zu begleiten.
Wer darf mit raus auf See?
Ich war nicht lange allein in der Station. Aus allen Richtungen kamen unsere Leute an. Ehe ich mich versah, standen dreizehn ehrenamtliche Retter vor mir, alle einsatzbereit, und sie konnten es kaum erwarten, dass es losging. Angesichts des harten Wetters waren sie noch mal enthusiastischer, als sie es sowieso schon waren. Sie freuten sich auf die Herausforderung war, für die sie immer wieder trainiert hatten.
Unser Auftrag war es, mit unserem Seenotkreuzer der Severn-Klasse, der „Alec und Christina Dykes“, rauszufahren und beim Havaristen auf Stand-by zu bleiben. Das etwas kleinere und weniger leistungsstarke Schiff der RNLI-Station Salcombe, ein Boot der Tyne-Klasse, sollte zur Unterstützung gleich hinterherkommen. Ich schaute in die Gesichter der dreizehn Crewmitglieder, die vor mir standen. Alle gespannt, wie ich mich entscheiden würde.
Nur sieben von uns konnten rausfahren. Ich war der Vormann, und es war mein Job zu entscheiden: Wer kommt mit
Wie ich diesen Part hasste. (…)
Um 7.44 Uhr legten wir ab.
Unmittelbar war uns klar, wie hart dieser Einsatz werden würde. Mit 15 Knoten Speed krachten wir durch die Wellen. „Wir müssen uns anschnallen“, brüllte ich gegen den Lärm an und nahm Kurs auf den Havaristen. Vor uns lagen zwei Stunden Fahrt. Ich durfte es nicht riskieren, dass sich einer meiner Leute schon auf dem Weg verletzte, wenn wir einen besonders üblen Brecher abkriegten.
Es sollte eine lange Nacht werden.
Wir kamen gut voran, als es keine 15 Minuten später im Funkgerät knisterte und rauschte. Der Kapitän der „Ice Prince“ war dran, und der Ton seiner Stimme ließ mich sofort aufhorchen.
„Wir haben Wasser in der Maschine“, sagte er. „Maschine läuft nicht mehr.“
Es waren nur wenige Worte, aber die Panik war nicht zu überhören.
Aber eben gerade habt ihr doch nur Schlagseite gemeldet, dachte ich.
„Keine Maschine mehr?“, fragte ich, um mir bestätigen zu lassen, dass ich es richtig verstanden hatte.
„Ja“, kam die Antwort. „Ich drifte.“
Damit hatten wir eine ganz andere Lage.
Denn jetzt hatte der Vorfall sofort eine viel höhere Dringlichkeit. Ohne Antrieb hast du keine Kontrolle über dein Schiff. Der Havarist war jetzt Seegang und Wind noch mehr ausgeliefert als zuvor.
Wir mussten noch einen Zacken zulegen.
„Rauf mit der Geschwindigkeit, auf 20 Knoten“, sagte ich. Roger reagierte sofort. Mit mehr Tempo würden wir unsere Fahrtzeit um rund zwanzig Minuten abkürzen können. Während Roger unser Boot beschleunigte, ging ich in Gedanken unsere Optionen durch.
Was für Bedingungen werden wir vor Ort vorfinden?
Ich war von einem Routinefall ausgegangen, einer Eskorte für ein angeschlagenes Schiff. Doch jetzt wusste ich, dass es um viel mehr ging. Sie hatten sogar einen Hubschrauber der Küstenwache angefordert, und die „India Julia“ war auch schon in der Luft, um einen Teil der Crew abzubergen. Je näher wir der Unglücksstelle kamen, desto heftiger wurden die Bedingungen. Dann knisterte es wieder im Funkgerät.
„Einer meiner Leute wurde gegen sssschchch, ssschchch“, hörten wir die Stimme des Kapitäns. „Er ist chchchchch.“
Ich versuchte, aus dem Rauschen und gegen den Lärm bei uns auf dem Boot herauszuhören, was passiert war. Aber ich konnte auch so schon die Angst hören.
„Können Sie das wiederholen?“, sagte ich.
„Er hat sich sssschchch gebrochen ssssschchcchch Bein …“
Jetzt wusste ich zwar immer noch nicht genau, was sich zugetragen hatte, aber ein Mann hatte sich verletzt, so viel war klar. Und wenn wir einen Verletzten hatten, konnten es bald mehr sein. Das bedeutete: Fahrt unter Volllast, Höchstgeschwindigkeit. Als Roger den Hebel auf den Tisch legte, waren wir etwa 15 Meilen östlich von Berry Head. Endlich kam die „Ice Prince“ in Sicht.
Ich trat aus dem Schutz des Ruderhauses und stieg hoch zur Flybridge, zu unserem Außensteuerstand, um mir ein besseres Bild von der Lage zu machen. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und dann sah ich die Umrisse des Havaristen vor mir. Mir fiel fast die Kinnlade runter – denn so etwas hatte ich in meiner gesamten Laufbahn als Seenotretter noch nicht gesehen.
Die „Ice Prince“ stöhnte und ächzte fürchterlich, und sie lag in einem Winkel von mehr als vierzig Grad auf der Seite, sodass die Reling von den Wellen überspült wurde. Von der anderen Seite drückte der Wind mit 50 Meilen pro Stunde, also etwa zehn Beaufort.
„Dass der Kahn überhaupt noch schwimmt“, stieß ich hervor.
Ich konnte meinen Leuten ansehen, dass ihnen dieser Gedanke auch schon gekommen war. Über uns nahmen wir das charakteristische Wummern eines Helikopters wahr. Der Suchscheinwerfer der „India Julia“ strich über das Wasser und kreuzte gelegentlich das noch stärkere Licht der „HMS Cumberland“. Die Fregatte der Royal Navy stand ebenfalls auf Warteposition bereit, um den Frachter in Seenot zu unterstützen. Das Drama, das sich vor uns abspielte, war jedenfalls auf der einen Seite der Bühne bestens ausgeleuchtet.
Die Mannschaft der „Ice Prince“ hatte sich auf der Brücke versammelt. Von dort hangelten sie sich, immer einer nach dem anderen, raus auf die Nock, wo der Mann an der Seilwinde im Helikopter sie erreichen konnte. Um in dem brutalen Sturm überhaupt jemanden sicher nach oben ziehen zu können, hatte die Crew des Helikopters eine zusätzliche, mit einem Gewicht am Ende beschwerte Leine ausgebracht, eine sogenannte Hi-Line, die dafür sorgen sollte, dass die Männer in der Rettungsschlinge nicht ins Pendeln gerieten und gegen den Mast des Frachters oder seine Antennen schlugen.
Seenotretter erzählen in unserem neuen Buch
Ursprünglich war der Plan gewesen, zuerst den Verletzten vom Schiff zu holen und dann weitere elf von seinen Kollegen. Eine Rumpfmannschaft von acht Leuten hatte an Bord bleiben und einen Versuch starten sollen, die Pumpen in Gang zu setzen. Zusammen mit dem Boot von der RNLI-Station Salcombe sollten wir den Havaristen in den nächsten Hafen lotsen.
Aber ohne Maschine funktionierte das nicht, und nun kam über Funk obendrein die Nachricht, dass der Generator den Geist aufgegeben hatte. Die „Ice Prince“ war ein totes Schiff. Aus eigener Kraft kam sie keinen Meter mehr vorwärts, ihre Aggregate und Instrumente hatten keinen Saft mehr. Was ihre Lage zusätzlich verschlimmerte: Sie lag quer zu den Wellen – ungünstiger konnte ihre Position nicht sein. Auf der einen Seite war alles ruhig, und auf der anderen Seite rannte die See an und drückte der Wind. Alle Mächte hatten sich gegen die „Ice Prince“ verschworen, um sie zum Kentern zu bringen.
„Jetzt fehlen nur noch ein paar ordentliche Brecher, und dann schmeißt es sie um“, sagte ich zu Roger. „Vielleicht nur noch eine Frage von Minuten.“
„Viel länger wird sich der Kahn kaum halten können“, stimmte er mir zu.
„Und es sind noch acht Leute an Bord.“ (…)
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