ANKERSCHMERZ: Kreise, die sich heute schließen

Ein ehemaliger Obdachloser schreibt über sein Leben – und mit welcher Wirkung! „Auf den Straßen von Hamburg“, ein anderer Blick auf das Leben in Hamburg, erscheint heute zum 75ten Mal und der Hamburger Morgenpost. Wir freuen uns sehr darüber, welchen Weg das Leben unseres Autoren Dominik Bloh genommen hat. Hier lest Ihr seine Kolumne zum Jubiläum: Kreise, die sich schließen.

„Das war eine verrückte Begegnung. In letzter Zeit kommt es mir immer mehr vor, als würden sich Kreise schließen. Ich habe einen Termin beim NDR. Kurz bevor ich rein gehe, stehe ich auf der Straße und rauche eine. Der 109er-Bus fährt an mir vorbei und bremst ein paar Meter weiter an der Haltestelle. Das war die erste Buslinie, mit der ich in Hamburg gefahren bin, als wir 1998 nach Winterhude zogen.

Ich bin früher oft am NDR Gelände vorbeigekommen. Ich fand es spannend, doch es kam mir immer vor, als könnte ich nie eines dieser Gebäude betreten. Für mich blieben die Türen verschlossen. Ein Pförtnerhaus samt Wachtdienst. Schranken und Ausweiskarten. Das schien alles unerreichbar weit weg.

Ein Obdachloser fängt neu an

Inzwischen gehe ich dort ganz normal ein und aus. Die Menschen am Pförtnerhaus kennen mich schon und wir grüßen uns freundlich. Ich bin drinnen. Ich sitze im Aufnahmestudio. Die Sonne scheint so schön, dass ich noch einmal rausgehen möchte, um eine zu rauchen.

Ich habe normalerweise meinen festen Platz, genau dort, wo der Bus an mir vorbei fuhr. Das Bild von vorhin hat mir immer noch einen Flashback gegeben. Ich nehme die andere Richtung, setze mich auf einen der Steinblöcke und drehe mir eine Kippe.

Kreise, die sich schließen

Ich erkenne den Mann sofort, bin aber verwundert, dass er genau so aussieht. Wie spricht man jemanden an, den man kennt, aber genau weiß, er kennt dich nicht? Ich versuche es mit einem vorsichtigen:

Entschuldigung, bist du Tobi Schlegl?

Zum Glück findet er die Frage nicht dumm. Wir wissen beide,dass er es ist. Er antwortet auch ganz gekonnt mit einem Zwinkern:

So nennt man mich.

Die Jubiläums-Kolumne von Dominik Bloh in der Hamburger Morgenpost

 

Er scheint es eilig zu haben, doch ich bitte um eine Minute, denn ich muss etwas loswerden. Ich habe schon mal geschrieben, dass die MOPO die Zeitung war, die es bei uns Zuhause gab. Sie hat mich auch der Straße begleitet. Wenn es kalt war, habe ich mit dem Papier meine Kleidung ausgestopft. Die Artikel und auch das Kreuzworträtsel halfen mir in mancher Nacht.

An eine Sache aus der Zeitung erinnere mich sehr stark. Die Kolumne von Tobi Schlegl. Ich mochte die Kolumne immer gerne lesen und habe mich bei dem Gedanken erwischt, wie es wohl wäre, eine eigene Kolumne zu haben. Das wollte ich gerne machen. Dieser Mensch hat mich sehr inspiriert, zu schreiben. Dafür wollte ich ihm persönlich danken. Vermutlich hat er mit etwas anderem gerechnet. Als er die Geschichte hört, scheint er baff zu sein. Ich habe echt gefreut, Tobi zu treffen, obendrein an diesem Ort.

Schon wieder kommt es mir so vor, als hätte sich ein Kreis geschlossen.“

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Er hat ein Buch darüber geschrieben. „Unter Palmen aus Stahl“ wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Ein ehemaliger Obdachloser berührt die Leser. Überall im Handel und hier im Online Buchladen von Ankerherz.

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