Der schiefe Turm von Bremerhaven und das Behörden Bullsxxt Bingo

Der schiefe Turm von Bremerhaven und das Behörden Bullshxt Bingo. In Stefans Geschichten vom Meer geht es heute um ein amtliches Versagen mit tatsächlich weltweiter Strahlkraft. (Foto der Kolumne: Anja Zervoß.)

Wenn ein Leuchtturm plötzlich schräg steht, ist das ein Problem. Ein Leuchtturm ist nicht nur ein Seezeichen, sondern auch ein Symbol. Für Standhaftigkeit, für einen Fixpunkt im Sturm.

Dass der Molenturm, 1914 erbaut, seit dieser Woche der „schiefe Turm von Bremerhaven“ ist und in die Mündung der Geeste zu kippen droht, kann man als Sinnbild verstehen. Für den Zustand der Seestadt Bremerhaven, als dessen Wahrzeichen er galt.

Der schiefe Turm von Bremerhaven

Im Hintergrund vieler Fotos sieht man die Masten historischer Schiffe, Kirmes und ein Riesenrad. Ein Stück weiter den Deich runter feiert man das Hafenfest „Maritime Tage“. Vorne kippt der Leuchtturm um.

Willkommen in Bremerhaven!

Ich mag die Seestadt sehr. Für mich ist sie Ruhrpott am Meer. Die Leute sind eher wenig norddeutsch, sondern herzlich. Hier wird hart gearbeitet, einst in den Werften, in der Fischerei, in den Docks. Doch die Stadt hat es schwer, seit Schiffbau und Fischerei starben: Hohe Arbeitslosigkeit, Kinderarmut – und obendrein Probleme, die so richtig niemand verstehen kann.

Das dritte Wahrzeichen kollabiert

Der Molenturm ist das dritte Wahrzeichen der Stadt, das innerhalb weniger Monate vor aller Augen kollabiert. Zuerst die hölzerne Bark „Seute Deern“, die man jahrzehntelang mitten im Zentrum vergammeln ließ, bis sie im Hafenbecken sank. Dann die historische Drehbrücke im Kaiserhafen. Nun der Leuchtturm.

Die Ursachen sind immer ähnlich, ich nenne es: Behörden Bullshit-Bingo Bremerhaven (BBBB). Mal fühlt sich die Stadt nicht zuständig, mal das Bundesland nicht – weil in Bremen nicht immer so recht interessiert, was in Bremerhaven los ist – mal ist es dem Bund egal. Und dann warten alle ab, bis sich die Dinge von selbst erledigen. Also einstürzen.

Stimmung zwischen Ohnmacht und Wut

Die Stimmung in der Stadt liegt irgendwo zwischen Wut, Ohnmacht und Resignation. „Typisch“ ist das meistgenannte Wort, dass ich in den Sozialen Netzwerken las. Man erwartet einfach gar nichts mehr, nicht von Verwaltung, nicht von der Politik.

Dass die Mole des Leuchtturms marode ist, weiß man seit sieben Jahren. Solange ist sie nämlich gesperrt. Seit vier Jahren gibt es Mittel, sie zu sanieren. Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) spricht von einem „Desaster mit Ansage“, auf das er immer wieder hingewiesen habe.

Der Oberbürgermeister wirkt hilflos

Nun könnte man meinen, dass ein Oberbürgermeister durch sein Amt Befugnisse hat, die über das Anlecken von Briefmarken hinaus gehen. Seine Aussage unterstreicht das eigentliche Problem (siehe „BBBB“). Wenn selbst der Oberbürgermeister hilflos erscheint? Ja bitte, wer ist es dann nicht?

Das T-Shirt Gedanklich am Meer. HIER zu haben, im Schnitt für Frauen!

 

Die Bilder des schiefen Turms schafften es in die „Tagesschau“ und in Zeitungen auf der ganzen Welt, von den USA bis Haiti. Wer das Image der armen Stadt am Meer ändern wollte, mit „Maritimen Tagen“, Marketing und dem Hinweis auf die (wirklich tollen) Havenwelten, der kann sich nun mit einer Buddel Köm an die Weser setzen. Das wird vorerst nix mehr.

Klar: der schiefe Turm ist Schuld

Wer also trägt die Verantwortung? Der Chef der Bremenports, denen die Mole gehört, stand bei einer Pressekonferenz mit verschränkten Armen vor dem schiefen Turm. Man sei davon ausgegangen, „sieben bis acht Jahre Zeit“ zu haben für Neubau und Planung. „Jetzt ist uns der Turm zwei Jahre zuvorgekommen“, analysiert Robert Howe.

Na klar, der Turm ist Schuld. Einfach voreilig, dieser Backsteinlump. Kein Verlass.

Vermutlich wird jetzt erstmal ein fachübergreifender Arbeitskreis gegründet, wie man künftig diese rüpelhaften Türme ausbremsen kann. Die vier großen B, wie so oft.

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Zuletzt erschien das Buch „Überleben im Sturm“ über die Retter der RNLI.

 

Du magst den Ankerherz Blog mit mehr als 1500 Geschichten und aktuellen News vom Meer? Dann freuen wir uns, wenn Du einen Kaffee spendierst! Dankeschön!



0 comments