Eine kleine Liebeserklärung an Schottland

Schottland ist für mich gar kein Land, sondern ein wohliger Schmerz. Ich vergesse nie, wie ich das erste Mal in die Highlands reiste. Ich war als Tramper unterwegs, Mitte der 1990er Jahre, man merkt an solchen Erinnerungen, wie alt man ist.

Ich hatte gerade mit dem Studium begonnen, wenig Geld, und reiste mit dem Rucksack, im Kofferraum von Postbussen der Royal Mail und per Daumen kreuz und quer durch das Land. Es war spät im Sommer, ich glaube, Ende August, die Sonne stand tief, als der Bus in Ullapool ankam. Ich stellte den Rucksack im B&B gleich an der Wasserkante ab und stieg einen Hügel hinter dem Dorf hinauf.

Nordischer Himmel über Loch Broom

Als ich oben ankam, versank der Tag im Loch Broom. Ein nordisches Licht, so warm und sanft, es regnete, ein Regenbogen stieg auf, alles dampfte und waberte, der Himmel sah aus, als sei der Allmächtige beim Fotoshoppen ausgerutscht. Alles wirkte unwirklich. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Solche Schönheit. Es zog mir die Füße weg.

Ich musste mich setzen und habe fast geweint, ein solches Glück empfand ich.

 

Viele Male bin ich seither in Schottland gewesen. Schottland ist für mich der derbe Charme von Glasgow, das ich so industriell und hart viel interessanter finde als das schöne Edinburgh. Schottland sind die Lochs und die Glens, die kalten Morgen, in denen der Nebel aufsteigt. Das sind die Abende, in denen es in den Dörfern der Highlands nach Torffeuern duftet. Schottland ist der Steg von Salen Pier auf der Insel Mull, auf dem ein kleines Häuschen gebaut wurde, das man nie wieder verlassen möchte.

Schottland ist für mich die Steilklippe Yesnaby, an die der Nordatlantik schlägt. Schottland ist der Hafenpub auf der Insel Islay, wo uns der alte Barkeeper den Schlüssel daließ und murmelte, „Good Night, Lads“. Wir sollten auf einen Zettel schreiben, was wir tranken.

Liebeserklärung an Schottland

Schottland ist der Whisky, der kein Getränk ist, sondern das Wasser des Lebens. Schotten, das sind die freundlichsten Menschen, die ich auf meinen Reisen kennengelernt habe, mit dieser schrulligen Mischung aus schwarzem Humor, Selbstbewusstsein und vorsichtiger Distanz. Wenn ich an Schottland denke, denke ich an die Massen amerikanischer Touristen, die erwartungsfroh auf den Loch Ness äugen und Schottland ist die Enttäuschung, direkt am Urquardt Castle eine Schnellstraße zu entdecken, die man garantiert auf keiner Postkarte sieht.

Wer Schottland liebt, der muss einen Bogen um die Orte machen, zu denen es die Katalogpilger zieht. Wer Schottland liebt, der sollte weit hinauf in die Highlands fahren, wo Europa so einsam ist wie nirgendwo sonst. Wegen der „Clearances“, in denen Großgrundbesitzer die Menschen vertrieben, um Platz für ihre verdammten Schafe zu haben. Oder noch besser auf die Äußeren Hebriden, die Wellenbrecher im Nordatlantik.

Auf Lewis und Harris zum Beispiel, die eigentlich eine Insel sind. Weil das Gebirge, das sie trennt, aber so unwirtlich und lange Zeit unpassierbar war, hat man sie zu zwei Eilanden erklärt. Es gibt kaum einen schöneren Strand als den weiten, weißen Traigh Seileboost, der aussieht wie einer 4XL-Version der Karibik. Es gibt keinen verschlafeneren Ort als Tarbert an einem Sonntag, denn hier sind die Inseln so calvinistisch, dass der Priester die Sünder der Gemeinde direkt von der Kanzel anzählt.

 

Am 11. September 2001 waren meine Frau Julia und ich auf Harris unterwegs, als das BBC Radio die Nachricht vom Einschlag in New York vermeldete. Wir stoppten an einem Landgasthof im Nirgendwo, betraten die winzige Gaststube, und in diesem Moment explodierte der zwei Jet im zweiten Turm des World Trade Centre.

„Welcome, it´s fuckin‘ Third World War“, sagte ein Trinker am Treser, ein Kerl unter einer Schiebermütze. In der Nacht wurde Julia schwer krank, eine Gallenkolik, und ein schwerer Sturm zog über die Insel. Kein Krankenwagen konnte kommen und der Hubschrauber in der Inselhauptstadt Stornoway nicht starten. Ich brach in das einzige Hotel am Ort ein, fand in der Rezeption ein Telefonbuch und alarmierte den Dorfarzt.

Auch diese Nacht ist Schottland für mich.

 

Schottland bedeutet nicht nur Natur mit der Majestät eines Leberhakens, die Skua-Möwe oder St. Kilda, die vielleicht wildeste Insel der Welt im Nordatlantik. Schottland ist ein Blick in die menschliche Seele und der vergebliche Drang nach Freiheit. William Wallace, Bonnie Prince Charles, die Schlacht von Culloden, die ewige Unterdrückung durch die verhassten Engländer.

„Schottland ist Scheiße“, schreit Ewan McGregor in einer Szene von Trainspotting in die Landschaft. „Wir konnten uns nicht mal von vernünftigen Wxxxx kolonialisieren lassen.“

Nein, Schottland ist nicht Scheiße, kein bisschen. Ich liebe Schottland, weil es genau so ist, wie es ist.

 

Zum Autor dieser Liebeserklärung an Schottland: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Das Paar hat vier Kinder und zwei Hunde lebt in der Nähe von Hamburg. Sie sind viel zu selten in Schottland.

 

Du magst den Ankerherz Blog vom Meer mit mehr als 1800 kostenlosen Geschichten? Dann freuen wir uns, wenn Du uns für unsere Arbeit einen Kaffee spendierst! Geht ganz einfach hier. Dankeschön!



0 comments