HAIFISCH BAR Geschichten: Der Lebensretter aus dem Hai
DER LEBENSRETTER
Aufgeschrieben von Stefan Kruecken, Ankerherz.
Eine Bar ist für manche eine Rettungsinsel. Für Einsame, für Alleingelassene, für Menschen, die fremd in einer Stadt sind. Der Tresen ist ein Ort, an dem man sich festhalten kann, und gerade in Zeiten, in denen immer mehr Großstädter allein leben, ist die soziale Bedeutung einer Bar nicht zu unterschätzen. Der Barkeeper ist nicht nur einer, der das nächste Bier hinstellt. Er wird in manchen Fällen zu einer Art Therapeuten am Zapfhahn, und Gert Schlufter, 70, der Wirt des Hai, weiß, dass an besonderen Tagen nur Hartgesottene Dienst schieben sollten.
Einmal kam es vor, dass ein Barkeeper der Haifisch Bar zum Lebensretter wurde, und zwar ganz wörtlich. Es war an einem Nachmittag im Winter, Mitte der 1990er Jahre, an einem jener typischen Tage, an denen der Himmel über Hamburg so grau und trist ist, als habe jemand im großen Photoshop alle Farbe aus der Stadt entfernt. Eine Frau, mittleren Alters, mittelgroß und auch sonst nicht weiter auffällig, kam in den Hai, setzte sich auf einen Hocker und bestellte ein Astra. Sie begann ein Gespräch mit dem Barkeeper Michael, und weil sonst nicht viel los war an diesem Nachmittag, ließ er sich darauf ein. Sie plauderten ein wenig, über dies und jenes.
Der Lebensretter springt hinterher
„So, dann lass mich mal zahlen“, sagte die Frau nach etwa einer halben Stunde. „Ich gehe jetzt in die Elbe“.
Sie legte Geld auf den Tresen und verschwand durch die Tür.
Barkepper Michael wurde stutzig. Hatte sie „ich gehe in die Elbe“ gesagt oder hatte er sich verhört? Er sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die Frau die Straße überquerte, zielstrebig auf die beiden Kräne an der Wasserkante zuging – und sprang!
Sofort rannte er hinaus an die Kaimauer, sah die Frau in der Elbe treiben und sprang hinterher, knapp drei Meter tief. Es gelang ihm die Frau zu greifen, bevor sie unterging und sie an der Oberfläche zu halten. Passanten hatten in der Zwischenzeit den Notruf gewählt. Rettungskräfte holten die Lebensmüde und ihren Retter aus der Elbe und wickelten sie in Decken. Eine Gruppe Schaulustiger hatte sich versammelt und spendete Applaus, auch Reporter waren vor Ort.
„Als ich im Hai ankam, schnatterte mein Michael vor Kälte und schimpfte“, erinnert sich Gert Schlufter. „Diese blöde Kuh.“
Am nächsten Tag erschienen Artikel über den „Lebensretter aus der Haifisch Bar“. Gert hielt die Zeitung hoch, als Michael zum Dienst erschien. „Jetzt bist du auch noch ein berühmter Haifisch“, sagte er. „Kann ich gut drauf verzichten. Die Elbe ist scheißkalt“, gab er zurück.
Ab sofort erzählen wir jeden Samstag eine Geschichte aus der Haifisch Bar. Haben Sie auch eine für uns? Melden Sie sich: haifischbar@ankerherz.de
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