Kapitäne erzählen: Als Schiffsjunge auf der Viermastbark Pamir
Die Viermastbark Pamir war ein legendäres Schiff. Einst ein „Flying P-Liner“ aus Hamburg, der Kap Hoorn umrundete, segelte die Pamir nach dem Krieg als Ausbildungsschiff. Am 21. September 1957 sank sie in einem Hurrikan auf dem Atlantik. 80 der 86 Seeleute ertranken. In unserem Buch „Kapitäne“ erinnert sich Peter Burhorn aus Bremerhaven an seine Zeit als Schiffsjunge auf der Pamir. Lest hier eine stark gekürzte Version seiner Geschichte.
Als ich die Nachricht erfuhr, vom Hurrikan, vom Untergang und einer verzweifelten Suchaktion, ging ich auf meine Kammer. Ich war fertig. Wir lagen an einer Pier in New York, mit dem Frachter, auf dem ich angeheuert hatte. Der Funker, der meine Verbindung zur Pamir kannte, rief mich zu sich in seiner Funkerbude, um mir vor den Ereignissen zu berichten.
Hurrikan, Untergang, nur wenige Überlebende.
Die Pamir war gesunken? Meine Pamir!
Alles drehte sich, ich konnte mit den Informationen zunächst gar nichts anfangen. Ich bin immer ein positiver Mensch gewesen. Ich glaube immer daran, dass die Dinge gut ausgehen, dass es sich irgendwie alles fügt, doch als die Nachricht langsam einsickerte, hat es mich sehe getroffen. waren Seeleute auf der Pamir, die ich gut kannte und die ich mochte. Ich war mit ihnen an Bord gefahren, oben in den Rahen und an Deck gearbeitet.
Es war ein Gedanke, der mich oft beschäftigt hat: ‚Du hättest an Bord sein können.’
Berufswunsch: Seemann
Jeder, der sich mit der Seefahrt auskennt, weiß um die Geschichte der Viermastbark Pamir, einem der acht berühmten „Flying P-Liner“, wie die Schiffe der Hamburger Reederei F. Laeisz wegen ihrer schnellen Reisen genannt wurden. Wer sie noch nie gehört hat, dem will ich sie kurz erzählen: Die Pamir war 1905 gebaut wurden, benannt nach dem Gebirge in Zentralasien. Ein schnelles Schiff, das 1932 eine „Weizenregatta“ genannte Wettfahrt von Australien nach Europa gewann. Insgesamt achtzehn Mal umrundete sie das berüchtigte Kap Hoorn, und sie war auch der letzte Windjammer, der mit Fracht und ohne Hilfsmotor 1949 das Kap der Stürme passierte. In den 1950-er Jahren segelte sie mit Gerste von Südamerika nach Europa und diente als Segelschiff.
In dieser Phase kam ich an Bord.
Ich war in der zehnten Klasse des Gymnasiums sitzengeblieben. Mein Vater, ein Richter und Präsident des Bremer Landgerichts, war wenig begeistert, als ihm von meinem neuen Berufswunsch berichtete: Ich wollte Seemann werden. Er nahm mir das Versprechen ab, dann zumindest Kapitän zu werden. Einer seiner Bekannten beim Norddeutschen Lloyd versprach, mir beim Start zu helfen, machte aber eine klare Ansage: „Der Junge muss ganz unten als Moses anfangen, und so schnell wie möglich auf einen Segler rauf.“
Das Bordleben der Pamir
Weil „der Segler“, den er meinte, aber noch auf der anderen Seite der Erde unterwegs war, kam ich für die erste Reise auf ein gewöhnliches Frachtschiff mit Maschine, die Havelstein. Es ging in Ballast und durch schweres Wetter nach Casablanca, und ich dachte, dass mich die Seekrankheit umbringt. (…)
Einige Wochen später, am 24. November 1955, spazierte ich dann mit meinem Seesack über die Gangway der Pamir, die an Schuppen 10 im Hamburger Hafen lag. Leider mit drei Stunden Verspätung, weil ich mich mit der Uhrzeit vertan hatte. Zur Begrüßung gab es folgerichtig den ersten Anpfiff und die Order, in der Kohleluke Brennstoff zu verteilen. In meinen neuesten Klamotten, die hinterher bestenfalls für einen Schornsteinfeger zu gebrauchen waren.
Die Pamir segelte mit einer hundertköpfigen Crew. Knapp zwanzig erfahrene Seeleute gehörten zur Stammbesatzung. Dazu kamen vierzig junge Crewmitglieder, die eine Reise absolviert hatten, also knapp ein Jahr an Bord waren. Und vierzig Neulinge, die noch viel lernen mussten.
Die ersten Stunden an Bord beeindruckten mich, und die Aussicht, hoch in die Masten klettern zu müssen, beunruhigte mich. Knapp viertausend Quadratmeter Fläche maßen die Segel der Viermastbark. Es gab keine Motoren an Bord. Alles musste von Hand erledigt werden. Als die Wachen eingeteilt wurden, wunderte ich mich über ein Detail: Viele Crewmitglieder, fast alle, rauchten. Aber nicht Zigarette, sondern Pfeife.
Grund für die Pfeife
Es war November, es war kalt, und meine Sachen waren für diese Temperaturen nicht geeignet. Ich fror. Was ich aber sofort schätzen lernte, war die Kameradschaft der Seeleute, die mir mit Kleidungsstücken aushalfen. Warum Pfeifen an Bord so beliebt waren, erfuhr ich bald. In den Pausen boten sie die Möglichkeit, sich die Hände zu wärmen. (…)
Untergebracht waren wir in einem Raum, vierzig Männer, vierzig Hängematten, es wurde eng und stickig, als wir in wärmere Breitengrade segelten. Wir waren schließlich froh darüber, dass uns der Bootsmann erlaubte, die Hängematten an Deck zu spannen. 32 Tage dauerte die Reise über der den Atlantik nach Montevideo, Uruguay. Wir löschten die Kohle und sollten Getreide laden. Jeder weiß, was das bedeutet: gründliches Schrubben der Ladeluken. In kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper schufteten wir in der Hitze. Ich erinnere noch die Mücken, Schwärme von Mücken, die nach Einbruch der Dunkelheit über uns herfielen. Wir hatten Hochkerzen gesetzt in der dunklen Nacht über dem Rio de la Plata, was die Plagegeister anzog (…).
Im Passatwind
Auf der Rückreise über den Atlantik machten wir zunächst gute Fahrt, es war ein schönes Segeln. Die Schiffsroute folgte dem üblichen S-förmigen Kurs, der für Windjammer aufgrund der Passatwinde schneller als eine direkte Route ist. Es ist ein wundervolles Gefühl, wenn das Schiff über die See gleitet, nur von der Kraft des Windes angetrieben. (…)
Ich überlegte danach, ob ich wohl an Bord bleiben konnte. Doch daraus wurde nichts, denn es war schwierig, in die Stammbesatzung hineinzukommen. Ich musterte am 10. November ab, nach insgesamt elf Monaten und 17 Tagen an Bord, und heuerte auf einem maschinenbetriebenen Frachters an.
Die Pamir sank im Hurrikan Carrie, etwa sechshundert Seemeilen westsüdwestlich der Azoren. 80 der 86 Besatzungsmitglieder, unter ihnen viele jugendliche Kadetten, kamen ums Leben. Drei der Überlebenden kannte ich. Einen traf ich Jahre später wieder und fragte ihn nach den Ereignissen. Er mochte nicht darüber sprechen.
Welche schrecklichen Dinge sich zugetragen haben, war später nachzulesen. Am Morgen des 21. September 1957 traf der Hurrikan das Schiff. Die Segel rissen und mussten von der Stammbesatzung von den Rahen geschnitten werden. Um 10:36 Uhr gab der Funkoffizier auf Position 35° 57′ N, 40° 20′ W eine Dringlichkeitsmeldung ab, in der er andere Schiffe um ihre Position bat. Das Schiff trieb mit starker Schlagseite und ohne Segel durch den Orkan. Keine halbe Stunde sendete die Pamir ein „Mayday“. Die Windgeschwindigkeit betrug zu diesem Zeitpunkt mehr als 130 Stundenkilometer, bei einer Wellenhöhe zwischen zwölf und vierzehn Metern. Gegen zwölf Uhr kenterte das Schiff. Nun begann der Überlebenskampf.
Was führte zum Untergang der Pamir?
Eine der größten Suchaktionen lief an, an der sich 78 Schiffe aus 13 Ländern beteiligten; nachdem sich der Sturm legte, stiegen Flugzeuge auf. Am 23. September entdeckte ein amerikanisches Schiff ein Rettungsboot mit fünf Überlebenden. Ein weiterer Überlebender wurde einen Tag später in einem schwer beschädigten Rettungsboot entdeckt. Die Rettungskräfte fanden mehrere zusammen gebundene Rettungswesten. Nur noch in zweien steckten Spuren menschlicher Körper. Dafür wurden im Seegebiet viele Haie gesichtet.
Was zum Untergang des Großsegler führte, sorgt bis heute für Diskussionen und Spekulationen. Das Seeamt Lübeck entschied auf eine Kombination von Fehlern als Unfallursache: Falsche Stauung der Gersteladung, eine verspätete Reduzierung der Segelfläche im Sturm und Wasser, das durch unverschlossene Öffnungen ins Schiffsinnere sank. Demgegenüber ging ein Sachverständiger der Reederei davon aus, dass die Pamirim Hurrikan auf jeden Fall gesunken wäre, unabhängig von den Sicherheitsmaßnahmen der Besatzung.
Am 17. Mai 1958 wurde die Pamir aus dem Lübecker Schiffsregister gelöscht.
Peter Burhorn, Jahrgang 1938, machte 1963 sein Patent zum Kapitän auf Großer Fahrt (A6). Er arbeitete in der Finnland- und in der Mittelmeerfahrt. Wegen der Krise der Seefahrt suchte er sich einen Job an Land und war einer der ersten Inspektoren der Reederei „Seeland“, die den Container etablierte. Noch heute ist er als Lotse der Nordschleuse in Bremerhaven im Einsatz. Burhorn ist verheiratet und lebt in Bremerhaven. Das Buch „Kapitäne“ gibt es in jeder Buchhandlung und ohne Versandkosten auch hier bei uns im Online Shop von Ankerherz.
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