Seemannsdiakon Sturm: „Querdenker“ und Meinungsfreiheit
Querdenker und Meinungsfreiheit. Jeden Sonntag veröffentlichen wir im Ankerherz Blog eine Kolumne aus der Seemannsmission, die Seemannsdiakon Fiete Sturm aus Hamburg-Altona schreibt.
„Ich lese immer wieder, dass Querdenker und deren rechtsdrehende Anhängsel die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr sehen. Sie sprechen von „Meinungsdiktatur“ und wenn man ihnen vorhält, dass man ohne staatliche Repressionen fürchten zu müssen, fast jeden Mist bei Facebook posten kann, verkriechen sie sich tief in ihre Opferrolle. Dann jammern sie, dass man trotzdem medial mundtot gemacht werde.
Aber das ist auch Teil der Meinungsfreiheit. Wer seine Meinung öffentlich verbreitet, muss damit rechnen, dass man ihn darauf festnagelt. Und sie als das benennt, was sie eventuell eben ist. „Jana aus Kassel“ musste dies unlängst feststellen, als sie sich unsinnigerweise mit Sophie Scholl verglich. Genau so gut könnte ich unseren Hund „Bami“ mit Mahatma Gandhi vergleichen, weil sie gerade ihr Trockenfutter nicht anrührt.
Querdenker und die Opferrolle
Kritik an unserer Regierung (und auch an uns als Gesellschaft selbst) ist jedenfalls weiter möglich und auch nötig. Vieles wurde gut in Angriff genommen und die Appelle an einen solidarischen Umgang miteinander in dieser Pandemie haben ihre Berechtigung. Abstand, Maske tragen, Kontaktbeschränkungen usw., das kann auch ich als „informierter Laie“ gut nachvollziehen und – wenn auch manchmal etwas zähneknirschend – umsetzen.
Aber es gibt Punkte, die mich stören.
Angefangen bei „Ego-Trips“ der Bundesländer und uneinheitlichen Regelungen. Wenn mir am Telefon das Gesundheitsamt Mitte zu verstehen gibt, dass sie sich nicht sicher sind ob die Kollegen in Altona nicht vielleicht andere Regelungen haben, dann frage ich mich natürlich, wie das erst länderübergreifend funktionieren soll.
Amtsdeutsch und Systemrelevanz
Verordnungen in Amtsdeutsch, die wir mühsam auf Relevanz für die Seemannsmission abklopfen müssen. Teilweise unübersichtliche Maskenpflicht, die mitten in irgendwelchen Straßenzügen beginnen und aufhören, machen es auch nicht einfacher.
Und dann die Tatsache, dass große Töne gespuckt wurden über die Wichtigkeit und Systemrelevanz von Berufsgruppen wie Pflegern, Verkäufern und Co.. Die dann aber vier Wochen später schon wieder vergessen waren. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Jahre zuvor fleissig Krankenhäuser durchprivatisiert und damit dem Kostendruck der freien Wirtschaft zugeführt wurden.
Erst selbst dafür zu Sorgen, dass soziale und medizinische Strukturen abgebaut wurden, um dann Tränen des Mitleids für die dort Beschäftigten zu vergießen? Das ist schon ziemlich bigott. Es ist nett, wenn einem vom Balkon zugeklascht wird. Es wird aber schnell zynisch, wenn man jahrelang nicht annähernd angemessen entlohnt wird. Und im Schichtdienst Überstunden ohne Ende schiebt.
Auch die Erhebung und Kommunikation von Zahlen und Fakten könnte deutlich besser und sinnvoller laufen. Das würde auch so manchem „Verschwörungsschwurbler“ weniger Angriffsfläche bieten.
Lange Rede, kurzer Sinn:
Die Kritik an so mancher Pandemiemaßnahme (oder deren Ausbleiben) könnte man noch deutlich ausführlicher und länger gestalten. Kritik ist berechtig, nötig und möglich! Aber: Kein Polizist wird morgen vor meiner Tür stehen und mich bestrafen, weil ich mit vielen Regierungsentscheidungen mehr als skeptisch gegenüberstehe und das auch formuliere.
Das ist das schöne und wichtige, an der Demokratie. In der ich – gerne – lebe.
Sich mit seiner Meinung gegen grundlegende Maßnahmen zu positionieren, die nüchtern betrachtet Leben retten können, ist dahingegen zwar auch möglich. Aber auch wahnsinnig blöde. Und dann muss man damit rechnen, darauf entsprechende Reaktionen zu bekommen. Vor allem wenn man sich sogar noch auf unseriöse Kanäle bei RT Deutsch, YouTube, Telegram, der AfD und Co. beruft.
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