Stefans Geschichten vom Meer: 492 Gründe gegen Gleichgültigkeit

492 Gründe gegen die Gleichgültigkeit. In Stefans Geschichte vom Meer geht es um eine Rettungsaktion auf dem Mittelmeer. Und um einen Appell gegen die Gleichgültigkeit in einer Zeit mit Pandemie und Krieg, die uns alle abstumpfen lässt. 

Nehmen wir an, ein Kreuzfahrschiff mittlerer Größe geriete in der Deutschen Bucht in Seenot. An Bord sind 492 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Eine Rettungsaktion in der Dunkelheit läuft an. Schreie, Verzweiflung, Drama auf der Nordsee.

Was würde passieren?

Fernsehsender änderten ihr Programm. „Live-Ticker“ der Newsportale im Netz liefen heiß. Die ARD sendete einen „Brennpunkt“, die Aufregung wäre groß und erste Politiker forderten bald, die Sicherheitsbestimmungen der Kreuzfahrtindustrie zu überprüfen. Wie konnte es nur dazu kommen?

Und nun zur Realität.

492 Menschen sind in dieser Woche von der deutschen Hilfsorganisation Sea Eye im Mittelmeer gerettet worden, darunter mehr als 30 Minderjährige und ein Baby. In einem Fall soll der Einsatz behindert worden sein von einer bewaffneten Miliz auf Schnellbooten, die sich zynischerweise „libysche Küstenwache“ nennt. In einem anderen Fall hockten die Überlebenden auf einem Schlauchboot, das Luft verlor. Wenige Stunden später, und 76 Menschen wären einfach in der Dunkelheit verschwunden.

Die Sea Eye 4 der NGO aus Regensburg. Foto: Sea Eye

 

Gegen die Gleichgültigkeit

An Bord der Rettungsschiffs versorgten Ärzte Menschen mit Verätzungen, die durch das Gemisch von auslaufendem Kraftstoff mit Meereswasser entstanden. Die Leute waren unterkühlt und erschöpft.

Haben Sie davon etwas gehört?

Vermutlich nicht, oder wenn, dann als eine Notiz am Rande. So weit ist es gekommen: Wir nehmen es kaum noch zur Kenntnis, wenn vierhundertzweiundneunzig Menschen gerettet werden. Abgesehen von den seltsamen Mechanismen der Medienwelt, in der es für manche wichtiger ist, wen ein aufgedunsener Castingshow-Sänger bumst, halten wir eines fest. Wir stumpfen ab.

Wir sind alle müde

Nach 25 Monaten Pandemie sind wir müde. Der Horror in der Ukraine. Die ersten Auswirkungen der Klimakrise. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen Sommer, Sonne, das alte Leben zurück oder zumindest eine Pause vom Alltag in 2022. Deshalb verdrängen wir, vor allem bei einem Problem, für das es bislang keine Lösung gibt. Mir geht das nicht anders.

Aber ist das richtig?

Es gibt einige Möglichkeiten, sich einzubringen. Sich in Diskussionen einzumischen, wenn wieder ein rechtsdrehender Enrico auf Facebook gegen Flüchtlinge hetzt. Oder ganz konkret den Rettern von Sea Eye mit einer Spende zu helfen. Das nämlich sind Menschen, die ihre Komfortzone verlassen haben und ihren Urlaub damit verbringen, anderen in Not zu helfen. Was ihnen immer schwerer fällt, weil der Preis für den Kraftstoff ihres Rettungsschiffes stark stieg.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Zuletzt erschien das Buch „Überleben im Sturm“ über die Retter der RNLI.

 

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