Stefans Geschichten vom Meer: der kleine Frieden von Barfleur

Barfleur, ein Fischerdorf in der Normandie. Stefans Geschichte vom Meer handelt in dieser Woche von einem besonderen Dorf am Meer.

Ich schreibe diese Geschichte vom Meer aus dem ersten echten Urlaub in der Corona-Zeit. Wie immer sind wir an die See gefahren, das geht gar nicht anders. Wer will denn schon in die Berge? Diesmal sind wir – zwei Erwachsene, unsere vier Kinder, zwei Hunde – in der Normandie gereist, in ein kleines Fischerhaus am Rande eines Dorfes am Meer.

Muscheln und Fritten, Wellen, Leuchttürme und ein Gefühl, für ein paar Tage den Kopf frei zu bekommen, das macht für uns Erholung aus. Einmal die große „Pause“-Taste drücken. Ich saß gestern auf der Mole von Barfleur und sah einem Fischer zu, der sein Boot reparierte. Bei Ebbe lag es trocken, und nutzte die Zeit, um am Boden zu arbeiten.

Barfleur ist das Dorf der Fischer

Als das Wasser wieder in den Hafen lief, verstaute er das Werkzeug, warf den Motor an und tuckerte raus auf die See. Auf der Mole flickten Fischer ihre Netze, rauchten und erzählten sich Geschichten. Es war ein solcher Frieden über den Häusern dieses Dorfes, das ganz offiziell zu den schönsten in Frankreich zählt. Barfleur ist der Hafen der Trawler. Bei Ebbe liegen sie auf dem Schlick.

Alle Häuser von Barfleur sind mit dicken Mauern aus dem Granit der Region gebaut worden und die Liebe für Details geht so weit, dass man die Stopper von Fensterläden mit Meerjungfrauen verzierte. Hinter der Kirche St. Nicolas sieht man den Phare de Gatteville, den zweithöchsten Leuchtturm des Landes in der Ferne. Das alles ist so postkartenmäßig, dass es beinahe wie arrangiert wirkt.

Zeit spielt keine Rolle

Heute mag der Hafen verschlafen sein, doch im Mittelalter galt Barfleur – gelegen in einer natürlichen Bucht, die sich vom Weststurm geschützt nach Osten öffnet – als wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Könige. Wilhelm der Eroberer segelte hier los, um England einzunehmen. Am 25. November des Jahres 1120 sank vor dem Hafen das „Weiße Schiff“ des englischen Thronfolgers, was einen langen, blutigen Erbfolgekrieg auf der Insel und in der Normandie auslöste.

Eine Legende besagt, dass man Priester, die das Schiff hatten segnen wollen, lachend davon jagte, was einfach keine so gute Idee ist. Der Schriftsteller Ken Follett versah den Untergang in seinem Welterfolg „Die Säulen der Erde“ mit einer Verschwörungstheorie, in der böse Barone eine Rolle spielen.

Die Tafel der Ertrunkenen

Zeit spielt in den Straßen und Gassen von Barfleur keine besondere Rolle, die aktuelle Nachrichtenlage auch nicht. Für die Fischer ist wichtig, was der Diesel kostet und welche Quoten sie bekommen. Doch der Rest? Nur der Wetterbericht ist wirklich von Interesse.

Kaum irgendwo ist das Leben so pur wie am Meer. Wie gefährlich die See sein kann, auch daran gibt es Erinnerungen. Neben der Station der Seenotretter steht eine Gedenktafel für die Fischer, die auf See blieben. Es ist noch bedrückend viel Platz auf dieser Tafel.

 

Aus der Normandie mitgebracht haben wir Euch den Kaffee der alten Fischer. „Le Petit Mic“, den kleinen Kaffee, bevor der Trawler ausläuft, entdeckten wir im Laden einer Fischer-Kooperative. So lecker – und ab sofort hier bei uns im Online Shop vom Meer zu haben.

Zum Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Kleines Buch vom Meer: Inseln“.

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