Stefans Geschichten vom Meer: Prospect of Whitby

Stefans Geschichte vom Meer spielt diesmal im Prospect of Whitby, dem ältesten Pub an der Themse in London. Ein Ort, an dem sich Geschichte und Hier und Jetzt verweben. Im einstigen Treffpunkt der Halsabschneider des Hafens.

Aus den Fenstern des „Prospect of Whitby“ sieht man nicht nur die Themse und Glas und Stahl des Bankenviertels Canary Wharf, sondern auch einen Galgen und eine Schlinge. Es ist eine makabre Erinnerung an einen Gast aus dem 17. Jahrhundert: George Jeffreys Umgang mit Rebellen brachte ihm den Beinamen „hängender Richter“ ein. Piraten knüpfte man hier auch gleich auf und ließ ihre Körper zur allgemeinen Warnung so lange hängen, bis die Flut sie dreimal überspült hatte.

Im Prospect of Whitby

Wie in der letzten Kolumne angekündigt, schreibe ich diese Folge am Tresen des „Prospect of Whitby“: 57 Wapping Hall, London E1W3SH. Seit mehr als siebenhundert Jahren wird in diesem Pub getrunken, seit ungefähr 1520. Ich finde das unglaublich.

Der Boden, von ungezählten Stiefeln und Schuhen rundgetretener Stein, ist mehr als vierhundert und das Holz an der Decke ungefähr dreihundert Jahre alt. Die Fassade wurde zuletzt im 19. Jahrhundert erneuert. Es gibt alte Steuerräder, Lampen und Gemälde, aber das ist kein maritimer Deko-Kitsch für Touristen, sondern echte Historie. Eigentlich ist der „Prospect of Whity“ keine Bar, sondern ein Museum mit angeschlossener Zapfanlage und ausbaufähigen „Fish and Chips“.

Gezeichnet von William Turner

Sir Hugh Willoughby segelte 1553 von hier aus los, um die Nordostpassage nach China zu suchen, was mutig war, aber insgesamt doch keine gute Idee. Russische Fischer fanden seine Leiche. Englands größter Maler William Turner zeichnete eine Skizze des Pubs. Auch der Politiker Samuel Pepys, dessen Tagebuch zu den wichtigsten Quellen über den Alltag im 17. Jahrhundert gehört zählte zu den Stammkunden.

Wie zuvor auch Schmuggler, Piraten und Halsabschneider, worauf der alte Name „Devil´s Tavern“ hinweist. Bevor die Nachbarschaft etwas feiner wurde, war der Pub Treffpunkt zwielichtiger Hafengestalten. Nach einem Feuer im 19. Jahrhundert nannte man ihn nach dem „Prospect of Whitby“. einem Kohlenschiff aus Newcastle, das regelmäßig in der Nachbarschaft festmachte.

Gin für die Prinzessin

Ich liebe solche Orte, an denen sich Historie mit dem Hier und Jetzt verwebt. Neben mir hocken zwei schweigsame Rentner und halten sich am Bier fest. In einer Ecke schmust ein Paar. Eine asiatische Touristin stolpert hinter ihrem Handy durch den Pub und der Barkeeper regt sich ausdauernd über die Spielweise seines FC Chelsea auf.

Kapitän Gottfried Hilgerdenaar aus Bremerhaven, den ich in der letzten Folge vorstellte, erzählte mir, wie oft und gerne seine Crew in den 1950er Jahren hier trinken war. Nur in die erste Etage, in die eine Treppe aus dunklem Holz führt, durften die deutschen Seeleute nie. Weil Princess Margaret, Schwester der Königin Elisabeth II, angeblich in den Räumen ihren Gin nahm.

Ich glaube dem alten Kapitän jedes Wort.

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Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.

 

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