Stefans Geschichten vom Meer: Unbequeme Wahrheit der MSC Zoe

Die Havarie der MSC Zoe und eine unbequeme Wahrheit. Jede Woche schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken eine Geschichte vom Meer. In dieser Folge geht es um den Untersuchungsbericht zum Unglück des Großcontainerfrachters MSC Zoe in der Nordsee.

Kurz nach Sonnenaufgang waren wir mit den Kindern an den Strand spaziert, in den Ferien auf der Insel Ameland. Zunächst wunderten wir uns über eine Absperrung und ein Schild, das vor Gefahrgut warnte. Dann sahen wir, was los war: Der Strand war übersäht mit Unrat und Plastikmüll. Kühlschränke, Stühle, etliche tausend Badelatschen für einen polnischen Supermarkt.

Ich charterte auf dem kleinen Flugplatz der Insel eine Cessna mit Pilot, um einen Überblick zu bekommen. Aus der Luft sah es noch trostloser aus. 342 Container hatte der Großcontainerfrachter MSC Zoe in der Nacht auf den 2. Januar 2019 in der Nordsee verloren, darunter mehrere Gefahrgutcontainer. Bis heute sind bei weitem nicht alle Container gefunden, auch das Gefahrgut wird vermisst, und die Insulaner in den Niederlanden und auf Borkum leiden unter den Folgen.

Die MSC Zoe kam schwer ins Rollen

Nun liegt der Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) vor. Auf 108 Seiten haben die „See-Ermittler“ rekonstruiert, was geschah. Die MSC Zoe hatte am Sonntag, 30. Dezember, mit 8062 Containern an Bord (entspricht 13.465 TEU) den Hafen von Sines in Portugal verlassen, Kurs Bremerhaven. Bei ruhiger Fahrt lief das Schiff durch den Ärmelkanal, doch dann frischte der Wind immer weiter auf. Der Kapitän, ein erfahrener Seemann, 64, Italiener, ließ dem Logbuch zufolge die Laschausrüstung der Container, Gefahrstoffcontainer, den Laderaum und die Bilgen überprüfen.

 

Was dann passierte, steht im Untersuchungsbericht des BSU: Um 23:00 Uhr begann die MSC Zoe plötzlich für einen Zeitraum von etwa 30 Sekunden heftig zu rollen, was sich wie Rollwinkel von 20 bis 30° anfühlte. Diese Bewegungen waren so heftig, auf der Brücke verschiedene Gegenstände, darunter der Drucker, durch die Luft flogen.“

Um 1 Uhr bemerkte der Kapitän beim Blick aus dem Brückenfenster, dass Container fehlten. Er ließ den Ersten Offizier wecken, der auf dem Hauptdeck feststellte, dass einige Container über die Bordkante ragten. Um 1:30 Uhr rollte die MSC Zoe erneut stark in der See. Auf drei Bays stürzten Containerstapel zusammen und gingen über Bord. Der Kapitän wechselte den Kurs und ging auf langsame Fahrt, doch das war zu spät.

Crew der MSC Zoe hat alles richtig gemacht

Das Wetter zu diesem Zeitpunkt: Beaufort zehn, Wellenhöhe 6.5 Meter. „Die Wellenkräfte haben dazu geführt, dass das Schiff ins Rollen geraten ist“, sagt Ulf Kaspera, Direktor des BSU. Weil gewaltige Schiffe wie die MSC Zoe, mit 400 Metern eines der größten Schiffe der Welt, eine enorme Stabilität besitzen, wirken sich diese Rollbewegungen negativ auf die Ladung aus. Das riesige Schiff richtet sich schnell wieder auf – und auf die Containertürme wirken extreme Beschleunigungskräfte. Man könnte laienhaft sagen: wie bei einem Katapult.

 

Twistlocks und Stahlverstrebungen hielten diesen Belastungen nicht stand. Im Untersuchungsbericht sieht man Bilder von Stahl, der aussieht, wie von einem Riesen verbogen. Entgegen mancher Gerüchte entsprach die Ladungssicherung an Bord der MSC Zoe den gesetzlichen Vorgaben. Eine Grundberührung, wie auch spekuliert wurde, ist nicht Ursache der Havarie gewesen.

Das Problem: das Schiff selbst

Kapitän und Crew haben laut Untersuchungsbericht vermutlich alles richtig gemacht. Das Problem ist größer: Es ist das Schiffes selbst. Riesige Containerfrachter wie die MSC Zoe überschreiten die Gültigkeitsbereiche der aktuell geltenden Vorschriften und Standards, wenn es darum geht, Beschleunigungskräfte zu berechnen.

An dieser Stelle sollte man stutzig werden. Beaufort zehn und sechs Meter Welle – das war ein ziemlich normaler Wintersturm auf der Nordsee. Die Botschaft des Untersuchungsberichts zur Havarie der MSC Zoe lautet: Ein solches Unglück kann sich jederzeit wiederholen. Solange jedenfalls, wie die Sicherheitsbestimmungen an Bord der Riesenfrachter nicht deutlich verbessert werden. Was auf internationaler Ebene geschieht. Es wird also dauern.

Keine beruhigende Aussicht.

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Vor kurzem erschien sein Buch „Kapitäne!“

 

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