Seemannsdiakon Sturm: Ein Brief aus Moria

Ein Brief aus Moria. Jeden Donnerstag, dem Sonntag der Seeleute, schreibt Fiete Sturm eine Kolumne für Ankerherz. Fiete ist der Seemannsdiakon von Hamburg-Altona und Leiter der Seemannsmission an der Großen Elbstraße. Heute geht es um einen emotionalen Brief aus dem Flüchtlingslager Moria.

Moin!

in meiner Kolumne schrieb ich letzte Woche über meine Sicht um die Ereignisse im Flüchtlingslager Moria. Im Nachgang hatte ich erneut Gelegenheit, mich persönlich mit Michael Buschheuer, dem Regensburger Gründer von Sea-Eye und Space-Eye zu treffen. Ich zeigte ihm die Seemannsmission und wir unterhielten uns über aktuelle Themen.

Zum Abschied fragte mich Michael dann in unserem Missionsgarten, ob ich heute schon eine gute Tat begangen hätte. Auf mein zögerndes Nachdenken hin schmunzelte er und übergab mir das Bild und einen Brief aus Moria. Geschrieben von der 17jährigen Anis aus Afghanistan. Seine Bitte: Ich möge helfen, ihn zu verbreiten. Er würde ihr gerne zeigen, dass ihre Worte nicht ungehört untergehen. Wie so viele Hoffnungen auf ein menschenwürdiges Leben dieser Tage.

Würde in Europa

Ich weiß, dass die Ankerherz-Familie eine offene und zugewandte Gemeinschaft ist. Ich weiß, dass ich Euch diese nicht ganz einfach zu verkraftenden Worte zumuten kann und sie Euer Herz erreichen. Ich hoffe, dass wir als Europa in Zukunft Menschen wie Anis und ihrer Familie offener begegnen und ihnen die Würde zukommen lassen, die sie so schmerzlich vermissen.

Dies ist der Brief aus Moria. Von Anis, 17 Jahre alt, aus Afghanistan.

„Mein Name ist Anis, ich bin aus Afghanistan. Ein sehr schönes Land mit netten Leuten, die schon seit Jahren versuchen, ein gutes Leben und eine sichere Umgebung für ihre Kinder zu schaffen. Aber leider hat der Krieg dies verhindert.

Ich wollte mein Land nicht verlassen, denn Afghanistan ist mein Land, meine Heimat, meine Hoffnung. Aber leider ist das Leben in Afghanistan wirklich schwierig, weil es einen Krieg gibt, und viele schlechte Menschen, die alle töten. Sie töten Männer, schwangere Frauen, Kinder, unschuldige Menschen und sogar neugeborene Babys.

 

Ich denke, dass kein Herz in ihrem Körper schlägt.

Und wegen dieser Leute war ich gezwungen, mein Land zu verlassen. Ich musste meinem Traum begraben, zu lernen, in die Schule zu gehen und ein normales Leben wie jeder andere zu führen. Ich wollte später an die Universität gehen, einen Job beginnen.

Meine Mutter weint

Aber ich wollte nicht heiraten, weil ich ja erst zwölf Jahre alt war. Ich wollte meine Familie nicht verlieren und meine Mutter nicht weinen sehen.

Zwei Jahre ist es her, dass ich in Griechenland bin. Ich verließ mein Land unfreiwillig, weil der Krieg wie ein Waldbrand über seine Bewohner gekommen ist, weil es keine Gerechtigkeit gibt und der Krieg zur Gewohnheit geworden ist. Ich begann eine Reise. Ich überquerte Grenzen, Flüsse, Meere, Wälder – nur um Frieden, Sicherheit, Freiheit und Würde zu erreichen. Aber die Reise führte mich leider nicht zu dem, was ich suchte, sondern es wurde eine Reise der Unmenschlichkeit, eine Reise voller Rassismus, eine Reise voller Not, Kampf, Geduld und Diskriminierung.

Das Schlimmste von allem ist, ein Flüchtling in Griechenland zu sein, der eigentlich nur auf der Suche nach Freiheit, Sicherheit, Würde und einem besseren Leben ist.

Das wird aber als ein Verbrechen gesehen.

Ich kam nach Griechenland, und ich dachte, ich wäre hier sicher, denn es gibt hier keinen Krieg. Doch nach und nach musste ich erkennen, dass ich als Flüchtling in Griechenland Dinge erlebe, die vielleicht nicht so schlimm sind wie der Krieg, doch mein Herz brechen.

Über das Leben im Container

Ich lebe hier mit meiner Familie in einem kleinen Container, wir sind sieben Personen. Das Leben ist extrem schwierig, aber der schwierigste Teil ist, dass zwei meiner Brüder krank sind und sich niemand um sie kümmert. Wir haben wie verrückt um Hilfe gefleht, doch es wird uns nicht geholfen. Die Ärzte sagten uns, dass wir auf das Festland gehen müssten, um ein Krankenhaus zu finden, damit die Kinder eine bessere Behandlung bekommen. Aber zweimal wurde unser Asylantrag abgelehnt, so dass wir nicht auf das Festland gehen können. Sie sagen, dass Leute, die abgelehnt wurden, in ihre Länder zurückgehen sollten. Doch eine Reise zurück bedeutet das Ende unseres Lebens.

Diese Leute wissen nicht, wie wir hierhergekommen sind, wie wir den Dschungel, die Berge und das dunkle Meer in der Nacht überquerten – nur um Frieden zu finden. Jeder verdient doch eine zweite Chance!

Meine Mutter hat jede Nacht Kopfschmerzen, weil sie um meine Brüder weint, sie ist ernsthaft um sie besorgt.

Vielleicht verstehen Sie jetzt nicht, wie schwer es ist, seine Mutter weinen zu sehen. Aber ich sage Ihnen: Das ist das traurigste und härteste Gefühl der Welt.

Meine Brüder sind krank

Aber selbst mit all diesen Problemen versuche ich immer noch positiv zu sein und so gut zu sein, wie ich kann.

Ich versuche, meine Zeit in einer guten Art und Weise zu verbringen, Also, ich werde zur Schule gehen, mein Lieblingsfach ist Mathematik, weil man bei Mathe lernt, dass es für alle Probleme eine Lösung gibt. Ich bin sicher, dass eines Tages alles in Ordnung sein wird.

Ich spiele auch Fußball und ich bin ein Trainer im FutbolNet-Programm von Barcelona. Ich male gerne, denn ich kann Gesichter sehr gut zeichnen.

Ich habe viele Freunde aus verschiedenen Nationalitäten, sie sind aus Griechenland, Amerika, England, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Italien. Sie alle sind hier auf der Insel, wirklich gute Menschen und sie helfen uns Flüchtlingen in den Lagern.

In der Zukunft möchte ich ein guter Mensch werden, der Kinder zum Lächeln bringt, und anderen Menschen hilft. Für mich spielt es dabei keine Rolle, ob ich Ärztin oder Lehrerin oder was auch immer werde.

Ich wünsche mir, dass eines Tages Ruhe in der ganzen Welt herrscht, dann wird es keine Flüchtlinge mehr geben, Mütter werden ihre Kinder nicht verlieren, und die Kinder werden bei ihren Familien sein dürfen.

Wir sind auch Menschen

Allen, die diesen Brief lesen, möchte ich sagen, helfen Sie uns bitte, vielleicht sind Sie nicht Flüchtlinge wie wir, aber natürlich sind wir alle Menschen und Sie können uns verstehen, auch wenn Sie das alles so wie ich durchgemacht haben.

Bitte helfen Sie den Flüchtlingen, vor allem denjenigen, die wie wir in Lesbos leben, wie auch den Menschen in allen anderen Lagern in Griechenland.

Wir sind in einer sehr schlechten Situation in diesen Tagen. Die Faschisten kommen oft ins Lager und schlagen Flüchtlinge, zünden Flüchtlings-Zelte an. Sie wollen dass wir verschwinden, aber wohin können wir gehen, wenn es keinen Weg von der Insel weg gibt und die Grenzen geschlossen sind?

Wir haben uns diesem schrecklichen Zustand nicht ausgesucht, wir hatten einfach nicht die Wahl.

BITTE HELFEN SIE UNS, WEIL WIR NICHT NUR FLÜCHTLINGE sind, wir sind auch Menschen.

 

Ein Brief aus Moria. Von Anis, 17 Jahre, aus Afghanistan. Sie lebt in Griechenland, Lesbos.

Foto: Alea Horst. Übersetzung aus dem Englischen: Hans-Peter Buschheuer. Ihr wollt  Sea-Eye unterstützen? Hier könnt Ihr es tun!

Hamburgs Seemannsdiakon Fiete Sturm.

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